- Verstummt -
"Jeden Tag dieselbe Leier. Wann passiert hier endlich mal was? Ich dachte, so nah an der Grenze würde eine Schlacht auf die andere folgen. Stattdessen müssen wir jeden Morgen zum Appell auf dem Hof antanzen und immer wieder dasselbe langweilige Training absolvieren." Der junge Rekrut spuckt verächtlich aus. "Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich mich in die Hauptstadt versetzen lassen."
"Du wirst deine Schlachten noch früher bekommen, als dir lieb ist", schnaubt Russel. Er ist schon länger hier stationiert und weiß, wie die Dinge hier laufen können.
Selbst wenn momentan alles ruhig und friedlich wirkt, ist das bei Innos nicht die Normalität, die in diesen Gebieten des Reiches herrscht.
Trelis ist eine der am besten befestigten Festungen des ganzen Reiches und ein strategisch wichtiger Punkt für Militär und Handelswesen.
Mit Geldern im Norden und Montera im Westen, zwei der größten Handelsstädte Myrtanas, ist Trelis für die Sicherheit der Handelsrouten verantwortlich.
Banditen und Wegelagerer machen den Fahrenden Händlern schon lange das Leben schwer. Erst letzte Woche habe ich während einer Patrouille drei Leichen im Wald nahe dem Fluss gefunden. Einem der Männer hatte man den Schädel gespalten. Die Axt steckte sogar noch zwischen seine Augen. Ein schrecklicher Anblick. Der andere lag mit einem Speer im Bauch neben dem geplünderten Karren. Was diese Schweine der Frau alles angetan haben, will ich mir gar nicht erst ausmalen. Ich habe sie mit zerrissenen Kleidern im Flussbett gefunden. Das Blut, das aus ihrer aufgeschlitzten Kehle floss, färbte das Wasser in ein tiefes, dunkles Rot. Ich kann nur hoffen, dass es schnell für sie vorbei war.
Noch für Stunden durchkämmten wir den Wald und die umliegenden Gebiete, aber konnten keine Spur der Banditen finden. Mieses Pack. Wahrscheinlich verstecken sie sich irgendwo im zerklüfteten Hochland. Ich werde dem Hauptmann vorschlagen, dass wir bei der nächsten Patrouille bis hinauf nach Nemora gehen. Die alte Eisenmine könnte ein gutes Versteck für diese Halunken sein.
Aber nicht nur die Probleme mit Überfällen können einen Soldaten hier auf Trab halten.
Trelis befindet sich nahe der Wüste Varant. Dem Hoheitsgebiet der Assassinen. Verblendete Beliar-Anhänger, die nur ihren eigenen Profit im Sinn haben.
Kämpfe mit den Wüstenbewohnern gehören hier normalerweise zur Tagesordnung.
Doch momentan ist es ruhig. Zu ruhig, für meinen Geschmack. Schon seit Wochen gab es keinen Angriff mehr, keinen Hinterhalt von Attentätern, die unseren Patrouillen am Rande der Wüste auflauern. Selbst an den wichtigsten Grenzposten war alles friedlich.
Da braut sich etwas zusammen, da bin ich mir sicher.
Wundern würde es mich jedenfalls nicht. Im Norden herrscht Krieg. Aus dem eisigen Nordmar ziehen Scharen von Orks ins Mittelland. Man sollte meinen, die Menschen wären mittlerweile an den Krieg gewöhnt. Aber diesmal ist es anders.
"Habt ihr schon gehört?", brummt Russel. "Die Grünfelle sollen Silden überrannt haben. Auch bei Faring hat es wohl erste Kämpfe gegeben."
"Wenn sie bereits in Silden sind, wird es nicht lange dauern, bis sie Geldern erreichen", erwidere ich.
Ich klopfe dem neuen Rekruten auf die Schulter. "Scheint so, als würdest du deine Schlacht bald bekommen."
Der junge Soldat rückt schnaubend seinen Helm zurecht und stapft davon.
"Typisch", lacht Russel, "ist doch immer dasselbe mit den Neuen. Träumen vom großen Kampf, aber wenn es ernst wird, haben sie die Hosen voll."
Mit einem ächzenden Seufzen rappelt er sich auf. "Na ja, wie auch immer. Wenn die Orks vor unserer Tür stehen, werden wir es schon merken. Du hast heute die Nachtwache, oder?"
Ich nicke. "Richtig, zusammen mit Matt und Aja auf der Südmauer. Hoffentlich bleibt es so ruhig."
"Aja... Aja...", überlegt Russel und man kann ihm ansehen, dass er eigentlich genau weiß, von wem die Rede ist. "Das ist doch die Kleine, der du immer hinterherschaust", grinst der Dienstältere mich an.
"So ein Blödsinn", erwidere ich, doch bevor ich noch ein weiteres Wort sagen konnte, klopft Russel mir energisch auf den Rücken.
"Na, bei dem Arsch kein Wunder, nicht wahr? Wäre ich zwanzig Jahre jünger, würde ich auch mein Glück versuchen", lacht er schallend.
"Entspannte Wache wünsch' ich euch!", fügt er hinzu und hebt die Hand zur Verabschiedung, bevor er in Richtung Hauptgebäude verschwindet.
Ich blicke ihm kopfschüttelnd nach. Wobei in seinen Worten zumindest ein Fünkchen Wahrheit liegt.
Aja und ich verstehen uns wunderbar. Wir starteten fast zur selben Zeit unseren Dienst in der Armee und waren damals in Montera stationiert.
Als der Konflikt mit den Assassinen sich verschlimmerte, wurden wir schließlich nach Trelis versetzt. Das ist nun gut ein Jahr her.
Aja ist ein paar Jahre jünger als ich, doch hat sie bereits viel mehr durchgemacht.
Mein Leben verlief relativ normal, für Zeiten wie diese zumindest. Als Sohn eines reichen Kaufmanns mangelte es mir an nichts. Ich hatte immer genug zu Essen, ein Dach über dem Kopf und Menschen, die für mich sorgten.
Aja jedoch hatte diese Privilegien nicht. Sie verlor früh ihre Eltern, die bei einem Überfall ermordet wurden. Den Tätern hatte es lediglich eine Handvoll Münzen eingebracht.
Als Waisenkinder lebten Aja und ihre jüngere Schwester eine Weile in den Straßen von Vengard und kämpften sich irgendwie durchs Leben.
Doch auch da hörte das Elend nicht auf. Eine schlimme Krankheit breitete sich in der Hauptstadt aus, die viele Menschen dahinraffte. So auch Ajas Schwester.
Nachdem sie alles und jeden verloren hatte, ließ sie sich für die Armee verpflichten. Neue Rekruten wurden dringend gebraucht, somit hatte sie mit ihrem Vorhaben keinerlei Probleme.
Einige Zeit später kreuzten sich unsere Wege. Ich erinnere mich gut an den Tag, als ich sie das erste Mal erblickte.
Das Mädchen mit dem aschblonden, ungepflegten Haar, blasser Haut und den schönen, jedoch unendlich traurigen Augen.
Die Monate vergingen. Man merkte Aja an, dass ihr die Zeit in der Armee mehr als nur guttat. In der Kaserne gab es jeden Tag warme Mahlzeiten, man war immer unter Leuten, hatte etwas zu tun und ein Ziel vor Augen. Nach und nach erholte sich meine Freundin von ihrer Vergangenheit. Ihre Haut bekam ihre Farbe zurück, ihr langes Haar, nun nicht mehr zerzaust, sondern glatt und seidig und ihre Augen, so schön wie zuvor und voller Zuversicht. Als ob sie nicht dieselbe junge Frau war, die ich an diesem düsteren Tag auf dem Kasernenhof erblickte.
Mittlerweile haben wir uns angefreundet und wir vertrauen uns viele Geschichten an. Ich habe immer ein schlechtes Gefühl, wenn ich ihr von meinem Leben in der gehobeneren Gesellschaft erzähle. Schließlich war ihres das genaue Gegenteil gewesen.
Doch Aja macht das nichts aus. Sie hört immer mit Spannung zu und liebt die Erzählungen aus dieser Welt, die sie selbst nie kennenlernen durfte.
Wenn sie mich mit ihren großen, wunderschönen Augen anstarrt und gespannt meinen Geschichten lauscht... Ich glaube, das sind die Momente, in denen ich mir wünsche, dass wir mehr wären als nur Freunde.
In diesem Punkt hat Russel wohl recht.
Es dämmert und ich mache mich auf den Weg Richtung Burgmauer.
Matt und Aja sind bestimmt schon auf ihrem Posten und ich wieder mal der, der als
Letztes zum Dienst erscheint.
Ich kann Matts Grinsen schon vor mir sehen, bereit mir einen Spruch an den Kopf zu werfen, weil ich wieder mal zu spät dran bin.
Und Aja wird neben ihm stehen und kichern, wie sie es immer tut, wenn wir uns freundschaftlich in den Haaren haben.
Langsam stapfe ich die steinernen Stufen hinauf auf die Mauer. Der Südwall. Hier muss man ein besonders wachsames Auge auf die Umgebung haben.
Im Süden liegt die Straße nach Varant. Sobald sich dort auch nur die kleinste Bewegung bemerkbar macht, musste sofort Alarm geschlagen werden. Schließlich könnten sich die Assassinen im Schutze der Nacht an die Festung heranschleichen.
Auch der Kanal, der Richtung Meer fließt, liegt in dieser Richtung. Schiffe legen hier in der Regel kaum an und es rechnet auch niemand mit einem Angriff vom Meer aus.
Jedoch birgt das Ufer viele Gefahren. Lurker, große Reptilienwesen, die sich gerne im Schilf verstecken, lauern arglosen Reisenden auf, um sie zu verspeisen und auch andere wilde Tiere halten sich oft in Wassernähe auf.
Weiter im Südosten liegt die große Gebirgskette. Die Handelsstraße nach Montera führt dort entlang. Mit Banditenangriffen musste man rechnen, aber Nachts ist es meistens ruhig und die massiven, hohen Berge hüllen die Straße und das umliegende Gebiet des Nachts in einen tiefschwarzen Schatten.
Ich trete auf die letzte Stufe und kam auf der Mauer an. Mein Blick schweift über die Zinnen und ich halte nach meinen Freunden Ausschau.
Heute habe ich weder Matt noch Aja gesehen. Komisch, normalerweise laufen wir uns im Laufe des Tages immer über den Weg.
Ich laufe ein Stück den Wall entlang, die Sonne ist mittlerweile fast verschwunden und die letzten Strahlen kriechen über die Berggipfel.
Dann erblicke ich endlich Matt.
Sein verstrubbeltes Haar weht leicht im Wind. Natürlich hat er seinen Helm mal wieder vergessen, obwohl dieser beim Wachdienst vorgeschrieben ist.
Auch seine Rüstung ist eine einzige Katastrophe. Sie hängt ihm locker am Körper, wahrscheinlich hat er die Schnallen nicht richtig festgezogen. Einen seiner Handschuhe hat er ausgezogen und hält einen Apfel in der Hand, in den er genüsslich hinein beißt. Was während des Dienstes natürlich auch verboten ist.
Matt ist einer dieser Menschen, der Vorschriften nicht so ernst nimmt und die Dinge locker und entspannt angeht. In brenzligen Situationen kann man sich allerdings immer auf ihn verlassen.
"Na, auch schon da?", ruft Matt, hebt den Apfel zum Gruß und genehmigt sich noch einen Bissen.
"Russel hat mich aufgehalten", rechtfertige ich mich und geselle mich zu meinem Freund.
Verwirrt schaue ich umher. "Wo ist denn Aja?" Es sieht ihr gar nicht ähnlich, zu spät zum Dienst zu erscheinen.
Matt zuckt mit den Schultern. "Keine Ahnung, wo das Mädel steckt", antwortet er und schnipst die Überreste des Apfels von der Burgmauer.
"Habe sie seit letzter Nacht nicht mehr gesehen", fährt Matt fort.
"Seit letzter Nacht?"
"Ja, wir haben gestern schon hier herumgestanden. Du warst ja am Haupttor eingeteilt."
Ich runzele die Stirn. Wo konnte Aja denn stecken? Morgen früh werde ich bei ihrem Quartier vorbeischauen. Aber vielleicht taucht sie ja doch noch auf.
Die Sonne war mittlerweile verschwunden und die Dunkelheit legte sich über die Gebiete von Trelis.
Alles ist ruhig.
Matt hat sich an die Zinnen gelehnt und schnarcht vor sich hin. Ich schüttele den Kopf. Wirklich eine perfekte Wahl für den Wachdienst.
Mein Blick gleitet umher. Der Mond leuchtet hell heute Nacht. Auf der Straße nach Varant scheint alles ruhig zu sein.
Meine Augen wandern Weiter. Das Wasser im Fluss plätschert vor sich hin und auch dort kann ich keinerlei verdächtige Geräusche oder Bewegungen wahrnehmen.
Dann halte ich inne.
Was war das?
Ich schaue hinüber zu der langen Gebirgskette im Südosten. Wie bedrohliche Riesen ragen die Berge in den Himmel hinauf und ihr Schatten hüllt alles in Finsternis.
Doch dort war etwas.
Ein Leuchten.
Nur kurz, fast hätte ich es nicht bemerkt.
Es war kein grelles Licht, nur ein leichter Schimmer hinter einem Hügel am Fuße des Berges.
Aber doch so hell, dass man es in der Dunkelheit erkennen konnte.
Mein Blick haftet an dem Punkt, an dem ich den Schein gesehen hatte.
Nichts.
Nur Finsternis.
Habe ich mir das gerade eingebildet?
Nein, da ist es wieder! Schwach und kaum erkennbar, aber dort schimmert es wieder.
Ein leichter Schleier, fast schon wie Nebel.
Dann erlosch es wieder.
Für einen Moment war mein Blick starr.
Irgendetwas an diesem schimmernden Licht fasziniert mich und macht mich stutzig zugleich.
Es ist eindeutig kein Feuer einer Fackel oder ähnlichem.
Doch was ist es?
"Matt, wach auf", sage ich energisch und verpasse meinem Freund einen leichten Tritt in die Seite.
"W-was? Was ist los?" Er steht auf und rückt sich seinen Gürtel zurecht.
"Ich habe etwas gesehen", erkläre ich und deute in Richtung Bergkette.
Matt kneift die Augen zusammen und starrt einen Moment in die Dunkelheit.
"Uuund was hast du da gesehen? Ich sehe nur Schwarz, Schwarz und nochmals Schwarz."
"Ich kann es nicht genau erklären", murmele ich, "es war wie... ein Licht. Aber irgendwie... erinnert es mich an nichts, das ich bisher gesehen habe."
In meinen Ohren klangen meine eigenen Worte total verrückt. Was sage ich da?
Es war ein Licht, nichts weiter. Wieso rede ich so geheimnisvoll darüber?
Matt schaut mich stirnrunzelnd an.
"Du hast ein Licht gesehen? Bei den Bergen?"
"Ja, das sagte ich doch gerade."
"Ist ja n' Ding", sagt Matt und hebt immer noch stirnrunzelnd eine Augenbraue. "Aja hat gestern Nacht genau dasselbe gesehen. Ich hatte nichts bemerkt, dachte die Gute ist bestimmt übermüdet und bildet sich das nur ein."
Für einen Moment herrscht Stille.
Dann weiten sich meine Augen und ich zeige nach vorne.
"Dort!"
Matts Kopf wirbelt herum und dann sieht er es auch.
Wie ein durchsichtiger Nebel wabert das Licht hinter dem Hügel.
"Tatsache...", murmelt er nachdenklich.
Ich kann nicht erklären warum, aber mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken.
In diesem Teil der Gegend sollte eigentlich niemand sein. Dort gibt es nichts.
Aber welche Frage mich nun noch viel mehr quält: Wo ist Aja?
Nachdem sie während ihrer Nachtschicht dasselbe merkwürdige Leuchten sah, hatte sie scheinbar niemand mehr gesehen.
Ist das ein Zufall?
Alles Quatsch, was ist denn nur los? Wie hypnotisiert kreisen meine Gedanken nur noch um dieses Licht.
Und Aja. Aja, die verschwunden ist.
Nachdem sie es auch gesehen hatte.
"Ich will dort hin", sage ich entschlossen. Ganz automatisch, so als ob ich diese Worte nicht selbst gesagt hätte.
"Was? Jetzt?", entgegnet Matt, "wir haben Wachdienst! Und was soll das schon sein. Wahrscheinlich nur ein Magier, der mit irgendeiner Magie herumexperimentiert."
Ich schüttele den Kopf und versuche meine Gedanken zu ordnen.
"Und wenn es so ist, dann ist es unsere Pflicht herauszufinden, was es damit auf sich hat!"
Blödsinn. Es ist unsere Pflicht Meldung zu machen und weiter unserem Wachdienst nachzugehen. Eine Patrouille würde sich dann um alles Weitere kümmern.
Ohne weiteres Zögern drehe ich mich um und renne die Stufen hinunter. Matt stolpert mir hinterher.
"Jetzt warte doch mal!", keucht er, als er mich endlich eingeholt hat.
Mittlerweile standen wir schon auf der Straße vor dem Burgtor.
"Was ist denn nur los?", frage und hielt mich am Arm fest, da ich schon wieder im Begriff war weiterzulaufen.
"Es tut mir leid", erwidere ich, "ich habe keine Ahnung, was los ist. Mein Gefühl sagt mir, dass etwas mit diesem Licht nicht stimmt und es etwas mit Ajas Verschwinden zu tun hat..."
Matt seufzt. "Okay, okay, pass auf. Ich begleite dich, aber wir gehen das Ganze langsam an. Ich habe keine Lust durch die Dunkelheit direkt in die Klinge eines Assassinen zu rennen oder von einer Horde Snapper angefallen zu werden, weil du wie ein Irrer durch die Nacht rennst."
Ich atme tief ein und aus. "Okay."
Langsamen Schrittes gehen wir die Straße Richtung Gebirge entlang.
Alles ruhig. Nur der Wind weht durch die Wipfel der Bäume am Wegesrand.
Wir verlassen den Weg und gehen im Schatten der Bergkette entlang, bis wir schließlich am Hügel ankommen, hinter dem wir das Licht gesehen hatten.
In dieser Gegend war ich noch nie. Patrouillen gibt es hier keine, warum auch? Hier gibt es nichts.
Mittlerweile hat es zu nieseln begonnen. Die kalten Tropfen prasseln auf mein Gesicht, welches sich wiederum unendlich heiß anfühlt.
Mit jedem Schritt atme ich schwerer. Warum bin ich so angespannt?
Um uns herum ist nichts außer nacktem Fels, verdorrtem Gras und alten Bäumen, die im Wind knarzten.
Von dem merkwürdigen Licht keine Spur.
"Das ist Zeitverschwendung. Lass uns wieder zurückgehen", merkt Matt an.
Ich ignoriere ihn.
Meine Füße tragen mich weiter den Hügel hinauf, ganz automatisch, als ob ich nicht mehr Herr über sie wäre.
Dann halten wir inne.
Vor uns ragen sie in die Höhe. Durch das helle Mondlicht werfen sie lange, bedrohliche Schatten auf das Gras.
"Was ist das? Eine Art Steinkreis?", fragt Matt und besah sich die gigantische Felsformation genauer.
"Vielleicht ein Ritualplatz...", murmele ich, "wie ihn die Druiden benutzen."
Der Regen wurde stärker und leichtes Donnergrollen lässt die Situation nur noch unheimlicher und bedrohlicher wirken.
Dann höre ich es.
Eine leise Stimme... kaum merklich, wie ein Flüstern im Wind.
"Hast du das gehört?", frage ich ernst und schaue mich um.
"Nein, was?"
"Eine Stimme... ich habe eine Stimme gehört, die..."
Da war sie wieder. Ich hielt mitten im Satz inne und lausche.
Ich kann die Worte nicht verstehen, versuche die Richtung zu deuten, aus der das Flüstern kommt.
Langsam schreite ich zwischen den Steinsäulen entlang. Matt folgt mir.
Mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken, als ich die Stimme deutlich hinter mir wahrnehme.
Ich schnelle herum. Und sehe den Eingang.
Kaum zu erkennen, versteckt hinter Büschen.
Der Eingang einer Höhle.
Ich hätte ihn fast nicht gesehen, wenn nicht plötzlich ein schwaches, schimmerndes Licht im Innern aufgeblitzt wäre.
Ich signalisiere Matt mir zu folgen. Dieser nickt nur stumm. Die Angst steht ihm sichtlich ins Gesicht geschrieben.
Kaum habe ich den Eingang betreten, stößt mein Fuß gegen etwas Hartes.
"Hey, ist das nicht..." Ich taste den Boden ab und hebe das metallene Objekt auf.
"Das ist eine von unseren Lampen...", murmelt Matt erschrocken, "glaubst du...?"
Ich nicke. Aja musste ebenfalls dem Licht gefolgt sein. Doch wieso ließ sie die Laterne am Höhleneingang zurück?
Ich hole die Feuersteine aus meiner Tasche und entzünde die Kerze im Inneren der Lampe.
Dann gehen wir in die Dunkelheit hinein.
Die Gänge scheinen endlos zu sein. Jeder unserer Schritte hallt von den kalten, nassen Steinwänden zu uns zurück.
Wir sprechen kein Wort und ich lausche, in der Hoffnung, die Stimme erneut zu hören.
Doch es bleibt still.
Mein Blick ist starr in die Finsternis vor mir gerichtet. Meine Gedanken drehen sich nur noch um eine Frage: Wo ist Aja?
Die Minuten verstrichen und eine Gabelung tut sich vor uns auf.
"Welchen Weg sollen wir nehmen?", frage ich leise.
Keine Antwort.
Ich drehe mich um und Matt... war verschwunden.
Ich rufe seinen Namen in den Gang zurück.
Keine Antwort.
Die Angst ergreift von meinem Körper Besitz und meine Hand klammert sich fester um den Griff der Laterne.
Einen Moment zögere ich, will zurückgehen und nach Matt suchen.
Dann gehe ich weiter.
Und weiter...
Und weiter...
Da war es wieder. Leise, doch es war da.
Vorsichtig folge ich dem Flüstern.
"Komm zu mir...", spricht die Stimme plötzlich.
Mit einem Knall lasse ich die Laterne zu Boden fallen.
Nun ist alles finster. Pechschwarze Dunkelheit.
Langsam taste ich mich voran. Schritt für Schritt.
Der Schweiß läuft mir über die Stirn, ich spüre, wie mir das Atmen immer schwerer fällt.
Die Luft scheint immer dünner zu werden.
"Aja...?", wimmere ich, "wo bist du nur...?"
Der laute, spitze Frauenschrei, der die Stille zerreißt, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Der schimmernde Schein taucht die Höhle in ein gleißendes, von Nebelschwaden durchzogenes Licht.
Ich schreie.
Die weit aufgerissenen, von Angst gezeichneten Augen meiner toten Freundin starren mich aus der wieder aufkommenden Dunkelheit an.
Ein weiterer Schrei.
Das Licht verschwand so schnell, wie es gekommen war.
Dann ist alles still.
Mein eigener Schrei verstummt.
Für immer.
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