- Das vergessene Klassenzimmer -

Fortsetzung von "Die Nacht im Verbotenen Wald"

 

„Was für ein hervorragender Pass von Dorothee Adams! Damit erzielt Samuel Cooper ein weiteres Tor für Gryffindor!“

Die Menge jubelte.

Sam flog eine Runde um das Quidditschfeld und streckte siegessicher die Faust in die Luft, während er seinen Blick durch die Menge wandern ließ.

Fox saß auf der Tribüne und jubelte ihm mit den Armen wedelnd zu.

Sam liebte Quidditsch. Letztes Jahr hatte er es als Jäger in die Mannschaft geschafft. Das war sein größter Traum seit seinem ersten Schuljahr in Hogwarts.

Die Schiedsrichterin, Madame Hooch, blies in ihre Pfeife. Das Zeichen dafür, dass das Spiel weiter ging.

Sam riss seinen Besen herum und flog zielstrebig über das Spielfeld.

„Ein erneuter grandioser Pass von Adams zu Cooper, der sich gerade so unter einem Klatscher hindurch ducken konnte!“, rief der Stadionsprecher.

„Zurück zu Adams, zu Williams, wieder zu Cooper uuuund... ahhh da konnte ein weiteres Tor gerade so vereitelt werden!“

Der Hüter der Ravenclaws hatte Sams Wurf in letzter Sekunde abwehren können.

„Doch was ist das?!“, brüllte der Junge ins Mikrofon, „hat da etwa jemand den Schnatz erspäht?!“

Sams Kopf wirbelte herum. Der Sucher der Gryffindors war plötzlich in einem rasanten Tempo losgeflogen und schien etwas zu verfolgen.

Die Worte des Stadionsprechers überschlugen sich vor Aufregung.

„Was für eine Verfolgungsjagd! Amber Green ist direkt hinter ihm! Wer wird sich den Schnatz diesmal schnappen können?!“

Sam beobachtete Amber, die dem Jungen dicht auf den Fersen war.

„Hey, Cooper!“, ertönte es plötzlich hinter ihm, „hier spielt die Musik!“

Seine Teamkameradin hatte Recht, schließlich lief das Spiel immer noch und Sam raste los, in Richtung der Tore der Ravenclaws.

Noch eine ganze Weile ging das Treiben auf dem Spielfeld hin und her, jedoch fiel kein weiteres Tor.

Dann plötzlich brüllte der Junge ins Mikrofon: „Das Spiel ist vorbei!! Charlie Weasley hat den Schnatz gefangen, Gryffindor gewinnt!!“

Der Pfiff von Madame Hooch bestätigte das Ende des Spiels.

Sam atmete erleichtert aus, das hätte noch echt knapp werden können.

Amber war eine hervorragende Sucherin und sie hätte ihnen den Sieg auf jeden Fall noch streitig machen können.

Sam lenkte seinen Besen zu Boden, wo die anderen Teammitglieder bereits jubelnd um Charlie herumstanden und feierten.

Charlie Weasley war der Kapitän der Gryffindors und im selben Jahrgang wie Sam. Viele behaupteten er wäre der beste Sucher, den die Schule seit Jahren hatte und dieser Behauptung hatte er heute mal wieder alle Ehre gemacht.

Charlie blickte Richtung Sam, hob die Hand und zeigte einen Daumen nach oben.

Sam erwiderte die Geste grinsend. Dann schaute er sich um.

Amber saß am Spielfeldrand auf einer Bank und bürstete sich das vom Wind zerzauste Haar.

„Gut gespielt, Ams!“, rief er und lief zu ihr herüber.

„Nicht gut genug“, korrigierte das Mädchen und verstaute die Bürste in einer kleinen Tasche.

„Ach komm, du warst super! Charlie war nur...“

„Besser, wie immer. Ich schaffe es gegen jeden anderen Sucher das Rennen um den Schnatz zu gewinnen. Aber an Charlie beißt man sich die Zähne aus.“

„Der Junge ist einfach echt unschlagbar!“, ertönte Fox' Stimme, der gerade von der Tribüne auf sie zugelaufen kam.

Amber nahm ihre Handschuhe und warf sie nach ihrem Freund.

„Ach, sei doch still!“

Fox grinste sie an.

„Hey, immerhin hast du eine reelle Chance. Wir Hufflepuffs brauchen es gar nicht erst versuchen.“

Amber musste lächeln und räumte ihre restlichen Sachen zusammen.

„Was habt ihr heute Abend denn so vor?“, fragte sie.

„Wir wollten in der großen Halle eine Runde Zauberschach spielen“, antwortete Sam, „willst du mitkommen?“

Seine Freundin seufzte und stand auf.

„Zu gerne, aber geht nicht. Heute ist 'dieser' Abend.“

„Ach ja...“, realisierte Sam.

Heute Nacht war Vollmond.

Noch immer machten die Ereignisse aus dem letzten Jahr den drei Freunden zu schaffen, doch Amber hatte mit Abstand am meisten damit zu kämpfen.

Der Tod ihrer Freundin, Ruby, war schon schwer genug und der Fluch des Werwolfs machte die ganze Situation nicht angenehmer.

„In zwei Stunden muss ich runter zu Professor Snape“, erklärte sie.

Der Lehrer für Zaubertränke braute den Wolfsbann-Trank, welcher dafür sorgte, dass Werwölfe nach ihrer Verwandlung ihr menschliches Bewusstsein behielten.

Schon oft hatte Amber gedacht, dass sie von der Verwandlung am liebsten gar nichts mitbekommen würde. Aber besser so, als wenn sie zur Gefahr für ihre Mitschüler würde.

Während der Vollmondnacht hielt sie sich in einem der tiefsten Kerker des Schlosses auf. Am nächsten Morgen, wenn alles vorbei war, konnte sie zurück in den Schlafsaal, als ob nie etwas gewesen wäre.

„Bradley wird in einem der anderen Kerker sein, richtig?“, fragte Fox.

Amber nickte stumm.

Sie hoffte, dass sie Brad nicht über den Weg laufen würde. Schließlich war er für Rubys Tod verantwortlich und dafür, dass Amber nun mit diesem grausamen Fluch leben musste.

Wieder seufzte das Mädchen.

„Hilft ja alles nichts, ich kann es nicht ändern. Alles, was ich tun kann, ist ihm so gut ich kann aus dem Weg zu gehen...“

Jedes Mal, wenn sie Brad begegnete, ergriff eine fast unaufhaltsame Wut von ihr Besitz.

„Kopf hoch, Ams“, versuchte Sam sie zu trösten.

Das Mädchen nickte.

„Hast ja Recht“, bestätigte sie schulterzuckend, „okay Leute, ich bin dann mal weg. Wünsche euch heute Abend viel Spaß.“

Sie nahm ihre Quidditschsachen und machte sich auf den Weg Richtung Schloss.

Die beiden Freunde schauten ihr nach.

„Sie tut mir so Leid“, sagte Fox sorgenvoll, „ich wünschte, wir könnten irgendwas für sie tun.“

„Es braucht einfach Zeit“, seufzte Sam, „solange können wir nichts tun, außer für sie da sein.“

Noch einen Moment schauten sie ihrer Freundin hinterher, dann machten sie sich ebenfalls auf den Weg zum Schloss.

 

Amber war spät dran. Normalerweise wäre sie längst unten in den Kerkern gewesen, aber eine Mitschülerin hatte sie im Gemeinschaftsraum aufgehalten und sie hatte die Zeit vergessen.

„Professor Snape wird mal wieder gar nicht erfreut sein“, seufzte sie innerlich und lief rasch die alten Treppenstufen hinunter.

Sie bog um eine Ecke und lief den Gang entlang. Professor Snapes Büro lag am Ende des nächsten Korridors.

Sie wendete sich nach rechts, dann wurden ihre Schritte langsamer und ihr Blick verfinsterte sich.

Vor der Tür zu Snapes Büro stand ein Junge.

Er war etwas älter als sie, hatte schulterlanges, schwarzes Haar und trug das Hauswappen von Slytherin an seinem Umhang.

Bradley.

Ambers Gedanken und die Bilder in ihrem Kopf überschlugen sich.

„Nicht jetzt!“, sagte sie energisch zu sich selbst.

Dann ging sie langsam auf den Jungen zu.

Dieser sah auf, als er sie bemerkte und erschrak leicht.

„H-hey...“, sagte er leise.

Amber antwortete nicht und lehnte sich an die Wand gegenüber.

Für mehrere Minuten herrschte Schweigen.

Dann blickte der Junge abermals zu ihr.

„Ich weiß, du willst das nicht hören“, begann er, „aber wir hatten nie die Gelegenheit über alles zu reden.“

Amber schwieg mit gesenktem Kopf.

„Du weißt, dass ich nicht Herr meiner Sinne war und dass ich alles ändern würde, wenn es mir möglich wäre...“

Keine Antwort.

„Ich weiß selbst am Besten, wie man sich in dieser Situation fühlt... ich will nur, dass du weißt, dass es mir Leid tut. Und das mit Ruby...“

Er machte einen Schritt auf Amber zu.

„Sie hätte nicht gewollt, dass wir...“

Mit einer schnellen Handbewegung griff Amber in ihren Umhang, stieß Brad gegen die Wand zurück und hielt ihm mit hasserfülltem Blick ihren Zauberstab direkt vors Gesicht.

„DU hast keine Ahnung was sie gewollt hätte!“, zischte das Mädchen mit zitternder Stimme.

„Amber, bitte...“

„NEIN! Ich will es nicht hören!“

„Sie war auch meine Freundin!“, versuchte Brad es erneut, „glaubst du, ich hasse mich nicht selbst für das, was ich ihr angetan habe?“

Amber schaute ihn schwer atmend an, den Zauberstab weiter auf sein Gesicht gerichtet.

„Was glaubst du, mit wem sie ihre Sorgen geteilt hat, wenn ihr Streit hattet? Oder als du sie regelrecht dazu gezwungen hast sich von dir zu trennen? Zu mir! Ich bedauere ihren Tod genau so wie du, ob du es nun glaubst oder nicht!“

Tränen liefen seine Wangen hinunter.

Amber interessierte das alles nicht.

Ihr Blick wurde immer hasserfüllter.

Das Bild von Rubys leblosem Körper brannte sich immer mehr vor ihrem geistigen Auge ein.

Das Bild von Brad, wie er in Wolfsgestalt auf sie zusprang, ihr in die Schulter biss und damit alles veränderte.

Amber wusste nicht, ob es die blinde Wut und der Hass waren, oder ob die bevorstehende Verwandlung ihr Blut zum kochen brachte.

Wahrscheinlich beides.

„Amber...“, begann Brad erneut.

Sie machte einen Schritt auf ihn zu und drückte ihn noch fester gegen die Wand, den Zauberstab weiterhin auf sein Gesicht gerichtet.

„Du glaubst nicht, wie gerne ich es tun würde!“, flüsterte sie mit bebender Stimme.

„Zwei kleine Worte und alles wäre vorbei!“

Brad stockte für einen Moment der Atem und seine Augen weiteten sich ängstlich, als er die Ernsthaftigkeit in Ambers Blick erkannte.

„Das würdest du nicht...“, sagte er atemlos.

„DU hast KEINE AHNUNG, wozu ICH fähig bin!“, zischte sie.

Brad schluckte und blickte das Mädchen angsterfüllt an.

„Sie würden dich ohne zu zögern nach Askaban schicken... d-du kannst nicht...“

„Ich KANN!“

Sie packte Brad am Umhang und legte ihre Lippen an sein Ohr.

„Man lernt so einiges, mit verdammten Todesser-Eltern...!“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

Dann ließ das Mädchen von ihm ab und wankte benommen einige Schritte zurück.

Sie ließ den Zauberstab sinken und langsam verschwand der Wahnsinn aus ihren Augen.

„Aber vielleicht hast du Recht...“, murmelte sie erschöpft, „Sie hätte nicht gewollt, dass ich... ich...“

Einen Moment später öffnete sich die Tür und Professor Snape erschien vor ihnen.

Prüfend hob er die Augenbrauen und hielt ihnen zwei kleine Fläschchen entgegen.

Amber packte eines der beiden und warf noch einmal einen Blick zu Brad.

„Geh mir einfach aus dem Weg...“, flüsterte sie matt und ging davon.

„Zweiter Korridor. Dritte Tür links“, sagte Snape schroff und wandte sich dann an Brad.

„Sie nehmen die zweite Tür. Ich schließe wie immer hinter Ihnen ab.“

Brad nickte und ging wortlos hinter Amber her.

 

Die Tür fiel ins Schloss und Amber ließ sich erschöpft gegen das alte Holz fallen.

Sie hörte Snape einige Worte murmeln, mit denen er den Raum magisch versiegelte.

Amber atmete tief ein und aus.

Sie zitterte am ganzen Körper.

So sehr hatte sie noch nie die Kontrolle verloren.

Lag es daran, dass sie sich gleich verwandeln würde und der Fluch des Werwolfs diese Gefühle in ihr ausgelöst hatte?

Einen Moment länger und sie hätte Brad ohne zu zögern getötet.

Eine Träne lief ihr die Wange hinunter.

Als Kind hatte sie es verabscheut, dass ihre schrecklichen Eltern ihr diese Flüche beibringen wollten. In Familien von Todessern war das völlig normal.

Sie hatte sich mit aller Macht dagegen gewehrt, jedoch irgendwann aufgegeben.

Erst als sie die Nachricht erreichte, dass ihre Eltern für ihre Verbrechen nach Askaban gebracht wurden und sie zu einer anderen Familie kam, konnte sie ein neues Leben beginnen.

Dass sie nun kurz davor gewesen war, einen dieser Flüche anzuwenden, noch dazu den schrecklichsten von ihnen... Amber erkannte sich selbst kaum wieder.

Sie schüttelte den Kopf um die Gedanken los zu werden, ging hinüber zu einem Stuhl in der Ecke des Raumes und ließ sich erschöpft fallen.

„Ich hasse diese Nacht...“, murmelte sie und kippte den Trank mit einem Mal ihre Kehle hinunter.

Dann schloss sie die Augen und wartete.

 

Amber öffnete benommen die Augen.

Sie schaute an sich hinunter, betrachtete ihre Finger und bewegte sie langsam.

Dann ließ sie sich erschöpft an der Wand hinunter zu Boden sinken.

„Endlich...“, seufzte sie.

Der nächste Morgen war angebrochen und alles war vorbei.

Langsam und ächzend rappelte Amber sich hoch.

Ihr tat alles weh.

Die Verwandlung veränderte ihren gesamten Körper, ließ Knochen wachsen und verstärkte ihren Geruchssinn, Gehör und Sehkraft.

Das alles war eine große Belastung und Amber fühlte sich am nächsten Morgen immer total ausgelaugt.

Erschöpft drehte sie am Knauf der Tür, die sich sofort öffnete.

Snape musste den Zauber schon gelöst haben. Wie lange hatte sie geschlafen?

Amber schaute den Gang hinunter. Niemand da.

Ihr Blick fiel auf die Tür, welche direkt nebenan lag. Sie war geöffnet.

Bradley musste bereits nach oben gegangen sein.

Wieder seufzte das Mädchen und musste an die Geschehnisse vom Vortag denken.

Langsam ging sie den Korridor entlang.

Gedankenverloren bog sie um eine Ecke.

Dann hielt sie nach wenigen Schritten inne.

Was war das?

Ihr Blick fiel auf eine Tür an der linken Seite des Ganges, ziemlich genau in der Mitte des Korridors.

Für einen Moment starrte sie auf das morsche, fast schon faulige Holz.

In diesem Gang hatte es gestern noch keine Tür gegeben.

 

Sie ging weiter, den Blick fest auf die Tür gerichtet, als könne sie jeden Moment wieder verschwinden, wenn das Mädchen nur kurz blinzeln würde.

Vorsichtig streckte sie die Hand nach dem Türknauf aus.

Doch kurz bevor sie ihn berührte, zögerte sie.

Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihr breit.

Irgendetwas stimmte nicht.

Amber ging einen Schritt zurück, musterte die Tür noch einige Augenblicke und machte sich dann auf den Weg Richtung Große Halle.

Das Ganze sollten sie sich unbedingt zu dritt ansehen.

 

Die Halle war gefüllt mit Schülern.

Um diese Zeit waren die Meisten noch beim Frühstück.

Amber reckte den Hals und sah sich um. Sie entdeckte Sam am Tisch der Gryffindors.

Sofort lief sie zu ihm. Auf halber Strecke erspähte sie Fox bei den Hufflepuffs und gab ihm ein Zeichen, dass er zu ihnen herüber kommen sollte.

„Amber, was...?“, begann Fox, als er die beiden erreichte.

„Nicht hier“, flüsterte Amber und die Drei verließen die Große Halle.

„Wie geht es dir, Ams?“, fragte Sam besorgt.

„Du siehst furchtbar aus“, merkte Fox an.

Amber rollte mit den Augen.

„Ich kann dich ja beißen und dann schauen wir mal, wie fertig DU aussiehst, wenn du die ganze Nacht als Wolf verbracht hast“, antwortete sie genervt.

„Mir geht es gut“, fügte sie an, um die Jungs zu beruhigen.

„Als ich den Kerker verlassen wollte, ist mir etwas merkwürdiges aufgefallen. In dem Korridor zwischen den Räumen, in denen wir immer die Nacht verbringen und Professor Snapes Büro gibt es keine weiteren Zimmer oder Klassenräume, doch vorhin war da plötzlich eine Tür.“

Sam und Fox schauten sie verdutzt an.

„Eine Tür, die vorher nicht da war?“, fragte Sam, um sicher zu gehen.

Amber nickte.

„Ams, bist du sicher, dass es dir gut geht?“ Fox hob fragend eine Augenbraue.

Wieder rollte das Mädchen mit den Augen und seufzte genervt.

Auf Fox' Witzeleien konnte sie gerade gut verzichten.

Sie packte Sam am Arm und zog ihn mit sich.

„Dann zeige ich es euch eben.“

Immer noch verdutzt stolperte Fox hinter ihnen her.

 

„Das kann doch nicht sein!“ Amber schüttelte ungläubig den Kopf und sah den Gang auf und ab.

Nichts.

Keine Tür weit und breit.

„Hey, Ams“, begann Sam, „die Nacht war wirklich anstrengend für dich. Kann es nicht vielleicht doch sein, dass dir dein Kopf einfach einen Streich gespielt hat?“

Amber ignorierte ihn und lief den Korridor hinunter, bog um eine Ecke und stand nun vor den Zimmern, in denen sie und Bradley die Nacht verbracht hatten.

„Ams! Lass uns rauf gehen und stärk' dich erst mal etwas beim Frühstück!“, schlug Fox vor.

„Ich bin doch nicht verrückt“, murmelte Amber und war sich bei dieser Aussage nicht mehr so ganz sicher, als ihr der Vorabend und die Sache mit Bradley erneut ins Gedächtnis kamen.

Sie lief wieder zurück und um die Ecke.

Dann blieb sie stehen.

„Da!“, sagte sie und auch die Jungs blickten nun wieder den Korridor hinunter.

Dort war die Tür.

Alt und morsch und in der dunklen Steinwand kaum sichtbar. Aber sie war da.

Die Drei liefen zu ihr hinüber.

„Tatsache...“, sagte Fox und kratzte sich überlegend am Hinterkopf.

„Die war doch gerade definitiv noch nicht hier“, merkte Sam an und blickte zu Amber.

„Habe ich euch ja gesagt. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Ich bin diesen Korridor schon so oft entlang gegangen und nie gab es hier eine Tür.“

Sie streckte die Hand nach dem Türknauf aus.

„Sollten wir nicht Snape oder einem der anderen Lehrer Bescheid sagen?“, Fox war sich mal wieder unsicher, ob das alles eine gute Idee war.

„Was soll schon passieren?“, fragte Amber genervt und öffnete die Tür.

 

Im Raum war es stockfinster.

Amber zückte ihren Zauberstab.

„Lumos!“, sagte sie und ein helles Licht begann an der Spitze des Stabs zu leuchten.

Langsam bewegte sie ihn hin und her.

Der Raum schien ein altes Klassenzimmer zu sein.

Morsche Tische und alte Bänke standen herum, die aussahen, als wären sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden.

An den Wänden reihte sich Regal an Regal.

In den meisten standen verstaubte Zaubertrankfläschchen, manche davon mit Flüssigkeiten gefüllt.

Am Ende des Raumes befand sich ein altes Pult, das noch älter aussah als die restlichen Möbel.

In den Ecken und von der Decke hingen Staub und Spinnweben. Allgemein war der gesamte Raum mit einer dicken Staubschicht bedeckt.

„Sieht aus wie ein altes Klassenzimmer in dem Zaubertränke unterrichtet wurde“, stellte Sam fest und sah sich weiter um.

„Das muss doch seit gefühlt hundert Jahren niemand mehr benutzt haben“ Fox wedelte mit dem Arm um einige Staubfäden von seinem Umhang zu schütteln.

„Echt komisch, dass uns diese Tür nie aufgefallen ist“, fügte Sam an Amber gewandt an.

„Ams?“

Das Mädchen hatte ihren Blick auf das Lehrerpult gerichtet und ging langsam darauf zu.

Dann sahen die Jungs es auch.

Auf dem Pult stand etwas, das mit einem Tuch verdeckt war. Jedoch schaute eine kleine Ecke unter dem Stück Stoff hervor und glitzerte im Licht des Zauberstabs.

Noch immer starrte Amber auf das Objekt. Irgendetwas daran zog sie an.

Mit zitterigen Fingern streckte sie die Hand nach dem Tuch aus.

Sam und Fox waren direkt hinter ihr.

Dann zog sie es mit einer raschen Bewegung herunter.

Und blickte in ihr eigenes Gesicht.

 

„Ein Spiegel?“, fragte Fox etwas ungläubig.

Unter dem Stofffetzen war ein kleiner Tischspiegel zum Vorschein gekommen.

Im Vergleich zu allen anderen Dingen im Klassenzimmer war er nicht alt und verstaubt, sondern sah erstaunlich neu aus.

„Wir sollten gehen“, sagte Sam eindringlich.

Je länger sie sich in diesem Zimmer aufhielten, umso unwohler wurde ihm.

„Ich wäre dafür.“ Fox nickte bestätigend. „Ich weiß nicht warum, aber dieser Raum macht mir echt Angst.“

Auch Amber nickte und wollte sich gerade umdrehen, als sie wie erstarrt stehen blieb und in den Spiegel starrte.

Ihr Spiegelbild hatte sich verändert und sie blickte nun in die kalten Augen eines Mannes.

Sie wirbelte herum, doch hinter ihnen war niemand.

Wieder wandte sie sich dem Spiegel zu. Der Mann war verschwunden.

Stattdessen erhellte plötzlich ein grelles Licht den Raum.

„Was zum...!?“, rief Fox und hielt sich die Augen zu.

Seine Freunde taten es ihm gleich.

Das Licht verschwand so schnell, wie es gekommen war.

Das Klassenzimmer war nun Menschenleer.

 

Amber öffnete die Augen.

Sie lag auf dem harten Steinboden.

Rasch setzte sie sich auf und schaute hastig umher.

Sam und Fox lagen neben ihr und schienen noch benommen zu sein.

„Wie kann das...?“, murmelte sie.

Sie waren noch im Klassenzimmer, jedoch hatte sich einiges geändert.

Der Raum wirkte aufgeräumt, von Staub und Spinnweben fehlte jede Spur und auch die Möbel waren nicht mehr morsch und verrottet, sondern sahen neu und gepflegt aus.

An den Wänden brannten Kerzen und der gesamte Raum wurde in ein warmes Licht getaucht.

 

Amber drehte sich in Richtung Pult um.

Erneut blickte sie in das Gesicht eines Mannes. Jedoch war es diesmal kein Spiegelbild.

„Nach so vielen Jahren hat tatsächlich jemand mein Klassenzimmer gefunden...“, sprach der Mann mit tiefer, rauchiger Stimme.

Er war alt und hatte seine besten Jahre hinter sich.

„Wer sind Sie und wo...?“, begann Amber und stand auf, während Fox und Sam immer noch recht benommen auf dem Boden saßen.

„Ihr habt in meinen Spiegel geblickt“, stellte der Mann fest.

„Ein seltsames Stück“, fuhr er fort und ließ seine Hand über den Rand des Spiegels gleiten.

„Ich habe ihn vor vielen Jahren von einem reisenden Händler erworben. Hätte ich gewusst, was dieses Ding verursachen würde...“ Er schüttelte den Kopf und lachte leicht.

Dann sah er ernst zu den drei Freunden herüber. Mittlerweile waren auch Sam und Fox auf den Beinen.

„Ihr habt keine Ahnung, in welche Lage ihr euch begeben habt.“

„Dann rücken Sie doch endlich mit der Sprache raus!“, forderte Fox laut.

Der Mann legte den Kopf schief.

„Der Spiegel beherbergt eine Zerrwelt. Ein Spiegelbild, könnte man sagen. In ihr ist alles etwas... anders, als ihr es vielleicht kennt.“

Wieder schauten die Drei sich um. Das Klassenzimmer wirkte tatsächlich wie eine Spiegelvariante des Raumes, in dem sie sich nur wenige Augenblicke zuvor befunden hatten. Lediglich... etwas anders.

„Das ist doch alles ein schlechter Witz“, sagte Sam und zückte seinen Zauberstab.

Auch Fox und Amber zogen ihre Zauberstäbe und richteten sie in Richtung des Mannes.

Dieser lachte laut.

„Kinder, Kinder, was wollt ihr mit euren Stöckchen denn hier bitte anrichten?“

Fox blickte auf den Spiegel.

„Wenn uns dieses Ding hier her gebracht hat, dann...“

Er hob seinen Zauberstab.

„Stupor!“, rief er.

Nichts passierte.

„Was zum...?“, fassungslos blickte er zu seinen Freunden.

Wieder schüttelte der Mann lachend den Kopf.

„Wenn das funktionieren würde, würde ich nicht seit einigen Jahrhunderten hier festsitzen“, lachte er, „in Hogwarts hat man mich bestimmt längst vergessen.“

„Wenn Sie so lange hier festsitzen, wie können Sie dann bitte die ganze Zeit über das alles lachen?“, fragte Sam und realisierte, dass ihnen vielleicht ähnliches bevorstand.

„Kinder, ihr habt noch einiges über das alles hier zu lernen“, lachte er weiter vor sich hin.

Dann verschwand das Lachen aus seinem Gesicht und ein verstohlenes Grinsen umspielte seine Lippen.

„Dieser Ort ernährt sich von Ängsten...“, flüsterte er mit einem unheimlichen Ton in der Stimme, „das werdet ihr... sehr bald feststellen...“

Sein Grinsen wurde breiter und ein eiskalter Wind wehte plötzlich durch das Klassenzimmer.

Die Kerzen wurden ausgeblasen und der Raum begann sich zu drehen.

Alles um sie herum verzerrte sich zu einem immer schneller werdenden Wirbel.

Ein lautes, verrücktes Lachen hallte aus allen Richtungen wider.

Sie hatten sich zu lange von den Worten des Mannes ablenken lassen.

Die drei Freunde wurden von den Füßen gerissen und alles um sie herum wurde Schwarz.

 

„Leute...? Seid ihr da...?“, fragte Fox verängstigt.

„J-ja...“, antwortete Sam, „könnt ihr irgendetwas sehen...?“

„Nur Schwärze...“, stellte Amber fest.

Um sie herum war alles in Dunkelheit gehüllt.

Sie konnten sich nicht einmal gegenseitig erkennen, obwohl sie direkt nebeneinander standen.

„Ich bring den Kerl um!“, fluchte Fox vor sich hin.

„Ich glaube nicht mal, dass er wirklich existiert. Wahrscheinlich ist er Teil dieses Ortes...“

Amber holte ihren Zauberstab hervor und versuchte es mit Lumos.

Diesmal funktionierte der Zauber und erhellte die Umgebung ein wenig.

Immer noch war alles um sie herum Schwarz.

Jedoch erblickten sie vor sich einen großen, breiten Spiegel.

„Wenn wir hier raus sind, kann ich nie wieder in einen Spiegel schauen...“, seufzte Fox, „ääh... Sam? Alles okay bei dir?“

Sein Freund war wie erstarrt und blickte mit zitternden Augen in das gläserne Objekt.

„Sam, was ist los?“, auch Amber hatte sich nun sorgenvoll zu ihm gedreht, doch er schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen.

 

„Sam! Komm schon, Alter!“ Fox hatte ihn an den Schultern gepackt und schüttelte ihn kräftig, nachdem sie Minutenlang mit ansehen mussten, wie Sam mit angsterfülltem Blick in den Spiegel starrte.

Amber wiederum ging unruhig auf und ab.

Hatte der Mann irgendetwas gesagt, was ihnen in dieser Lage helfen könnte?

„Hey, Ams!“, sagte Fox laut als Sam sich plötzlich bewegte.

Es sah aus, als ob ihr Freund gegen etwas ankämpfen würde.

Schweißtropfen liefen ihm die Stirn hinunter und er atmete schwerfällig.

Dann öffnete er seinen Mund.

„Ich... habe Vertrauen in meine Freunde, wie in niemanden sonst auf dieser Welt!“, sagte er mit kraftloser Stimme.

„Zusammen können wir alles schaffen! Und ich lasse mir von dir nicht das Gegenteil einreden!“

Er machte einen kräftigen Schritt nach vorne und ein lautes Hallen ertönte, als sein Fuß den Boden berührte.

Mit einem Knacken bekam der Spiegel einen Sprung.

Sam blickte schwer atmend zu seinen Freunden.

„Sam, was...?“, Ambers Augen weiteten sich als sein Körper plötzlich anfing zu verschwimmen.

„Dieser Ort ernährt sich von Ängsten...“, wiederholte Sam die Worte des Mannes, „gebt der Angst nicht nach...!“

Dann löste er sich in Luft auf.

„Sam!“, rief Amber verzweifelt.

Dann drehte sie sich zu Fox um und erschrak.

Nun war er wie erstarrt und blickte voller Angst in den Spiegel.

„Verdammt, was ist hier los? Was soll das Ganze?“, rief das Mädchen verzweifelt in die Leere hinein, in der Hoffnung der Mann würde ihr antworten.

Doch es blieb alles still.

Minuten vergingen in denen Amber bitterlich weinte, während sich Fox keinen Millimeter bewegte.

Das alles war zu viel.

Sie hatte sowieso schon durch die Vollmondnacht keinerlei Energie mehr und nun hatte sie ihre Freunde auch noch ungewollt an einen gefährlichen Ort gebracht, von dem sie keinerlei Ahnung hatte, wie sie ihn wieder verlassen konnten.

Sams Verschwinden machte die Situation noch unerträglicher.

Amber ging hinüber zu Fox, legte weinend ihre Arme um seinen Hals und drückte ihr Gesicht an seine Schulter.

„Jetzt komm schon...“, schluchzte sie flehend.

Als ob Fox sie gehört hätte, bewegte er sich plötzlich und das Mädchen wich einen Schritt zurück.

Genau wie Sam zuvor sah Fox völlig fertig aus.

Viel bewegte er sich nicht, lediglich seinen Kopf drehte er langsam Richtung Amber.

„Ams...“, sagte er mit kraftloser Stimme.

„J-ja...?“

„I-ich... ich liebe dich.“

Ambers Augen weiteten sich und noch bevor sie reagieren konnte löste Fox sich in Luft auf.

Ein lautes Knacken.

Der Spiegel hatte einen weiteren Riss bekommen.

Das Mädchen sank zu Boden.

Für einen Moment gab sie ihren Tränen nach und weinte.

Dann packte sie Wut und Verzweiflung.

„Wo sind meine Freunde!?“, rief sie laut, „was hast du mit ihnen gemacht!?“

Wieder erhielt sie keine Antwort.

Sie rappelte sich hoch und drehte sich in Richtung Spiegel.

Dann stockte ihr der Atem und es wurde wieder alles schwarz.

 

Amber schaute sich um.

Um sie herum erstreckte sich ein dicht bewachsener und verschneiter Wald.

Das konnte nicht sein, sie war doch gerade noch...

Das Mädchen schlug die Hände vor dem Mund zusammen um nicht zu schreien und wich einige Schritte zurück.

Vor ihr auf dem Boden lag der leblose Körper von Ruby.

„Das ist doch alles ein schlechter Scherz...“, hauchte sie leise.

Rubys Tod lag beinahe ein Jahr zurück.

Sie drehte sich weg.

Ihre tote Freundin verfolgte sie schon in ihren Albträumen. Sie jetzt direkt vor sich zu sehen konnte sie einfach nicht ertragen.

„Zu schade...“, ertönte eine Stimme, „dabei haben wir sie doch so sehr geliebt...“

Die Schülerin wirbelte ängstlich herum und hinter dem Baum direkt vor ihr trat ein Mädchen hervor.

„Ist was? Du guckst ja, als hättest du einen Geist gesehen.“

Amber blickte in ihr eigenes Gesicht. Die Gestalt war ihr exaktes Ebenbild.

Langsam ging das Mädchen um sie herum und legte den Kopf schief.

„Du gibst dir immer noch die Schuld, oder?“ Amber hörte ihre eigene Stimme, jedoch lag etwas Kaltes in jedem Wort das aus ihrem Mund kam.

„Du machst dir Vorwürfe, weil wir ihr so hässliche Dinge an den Kopf geworfen haben. Vorwürfe, dass sie daraufhin mit uns Schluss gemacht hat.“

Das Mädchen kam näher und lächelte ihr ins Gesicht.

„Hätte sie den Abend mit uns verbracht. Hätte sie den Sternschnuppenschauer mit uns angesehen, dann wäre sie niemals in den Wald gegangen. Dann... würde sie noch leben.“

Tränen liefen Ambers Wangen hinunter.

Was immer dieses... Ding war, es sprach ihr direkt aus der Seele.

Das Mädchen kicherte.

„Dabei bemühst du dich so sehr dem armen Bradley die Schuld zu geben.“

Sie lehnte sich an Ambers Ohr und flüsterte: „Dabei wissen wir doch mittlerweile selbst zu gut, dass er in dieser Nacht keinerlei Kontrolle über sich hatte.“

Wieder kicherte sie und tänzelte um Amber und Ruby herum.

„Ich hätte ja zu gerne gesehen, ob du ihn wirklich getötet hättest.“

„Nein!“, sagte Amber verbissen und ballte ihre Hände zu Fäusten.

„Bist du dir sicher?“, wieder legte das Mädchen den Kopf schief, „'Du hast keine Ahnung, wozu ich fähig bin', waren das nicht deine Worte?“

Amber bebte innerlich.

„Verschwinde!“

Das Mädchen kicherte erneut.

„Ich kann nicht verschwinden. Schließlich bin ich ein Teil von dir.“

 

Amber kauerte zitternd am Boden.

Es fühlte sich wie Stunden an, in denen ihr Ebenbild um sie herum gelaufen und auf sie eingeredet hatte. Amber hatte keine Kraft mehr.

Das Mädchen ließ sich auf den Waldboden, direkt neben ihr sinken und streichelte ihr sanft durchs Haar.

„Was unsere süße Freundin wohl denken würde, wenn sie wüsste, was für düstere Gedanken wir seit jener Nacht haben.“

Mit einer leichten Bewegung ließ sie ihre Fingerspitzen über Rubys Wange gleiten.

„Weg von ihr! Fass sie nicht an!“, schrie Amber, holte mit der Faust aus und schlug zu.

Direkt durch das Gesicht des Mädchens hindurch.

„W-was...?“

„Ach Süße, so funktioniert das doch nicht.“

Der Körper des Mädchens waberte wie Nebel umher und nahm einige Meter entfernt wieder Gestalt an.

Amber zitterte vor Verzweiflung am ganzen Körper.

„Versteh' doch endlich. Ich bin ein Teil von dir, so sehr du dich auch dagegen wehren magst.“

Das Mädchen lächelte.

„Je größer deine Angst wird, umso stärker werde ich, hast du das immer noch nicht kapiert? Unsere Begegnung mit Bradley ist der beste Beweis dafür.“

Dann schoss ein Gedanke durch Ambers Kopf.

„Dieser Ort ernährt sich von Ängsten... gebt der Angst nicht nach...!“, hallten Sams Worte in ihr wider.

„Du hast Recht...“, sagte Amber leise und stand auf.

Das Mädchen hob neugierig die Augenbrauen.

„Ich habe Angst... Große Angst... Angst, dass ich alles falsch gemacht habe... Dass ich Rubys Herz gebrochen und ihren Tod zu verantworten habe... Dass ich die Kontrolle verlieren könnte... Aber...“

Ihre Stimme bebte und sie hob ihren Zauberstab.

„Meine allergrößte Angst, ist die Angst vor mir selbst! Und ich bin es Leid, mich davon kontrollieren zu lassen!“

„H-hey, was..?“ Das Mädchen wich einen Schritt zurück.

„ES REICHT!“, schrie Amber entschlossen und richtete den Zauberstab auf ihr Ebenbild.

„AVADA KEDAVRA!“

Ein greller, grüner Lichtblitz schoss auf ihre Gegenüber zu und traf sie mitten in die Brust.

„A-aber...“, hauchte das Mädchen atemlos und kippte mit leeren Augen nach hinten.

Noch bevor sie den Boden berührte löste sie sich in Luft auf.

 

Amber sank auf die Knie.

Um sie herum war wieder alles in Dunkelheit gehüllt und vor ihr erhob sich der große Spiegel.

Ein Knacken.

Ein weiterer Riss.

Und mit einem lauten Splittern zerbarst der Spiegel in unzählige Scherben.

Alles drehte sich, Amber wurde Schwarz vor Augen.

Dann schlug sie auf dem harten Steinboden auf.

„Ams!!“

Mehrere Hände packten sie und zogen sie auf die Beine.

„Ist alles in Ordnung?“

Sam hatte den Arm um sie gelegt und stützte sie, während Fox sie an der anderen Seite festhielt.

Das Mädchen hob den Kopf und schaute die beiden abwechselnd an.

Dann weinte sie und umarmte ihre Freunde mit aller Kraft, die sie noch übrig hatte.

„I-ich dachte ich sehe euch nie wieder und alles wäre verloren...“, schluchzte sie.

Sam und Fox blickten sich an.

Es hatte fast eine ganze Stunde gedauert, bis Amber aufgetaucht war.

Sam hatte das Spiel des Spiegels schnell durchschaut und auch Fox war nur wenige Minuten nach ihm im Klassenzimmer erschienen.

„Es ist alles gut...“, versuchte Sam sie zu trösten und streichelte ihr beruhigend durchs Haar.

Fox nickte. „Während du weg warst habe ich auf dich gewartet und Sam hat Snape geholt. Er ist gerade auf dem Weg zu Professor Dumbledore. Wir sollten hier auf dich warten und auf keinen Fall mehr irgendetwas anfassen.“

Amber blickte zum Pult hinüber.

Dort stand der Spiegel.

Er war zerbrochen.

„Ich denke, er stellt keine Gefahr mehr da...“, überlegte Fox, „aber wir sollten hier verschwinden und den Rest Professor Dumbledore überlassen.“

„Wir bringen dich erst mal in den Krankenflügel“, schlug Sam vor.

Amber nickte schwach und sie machten sich langsam auf den Weg.

 

Erschöpft ließ Amber sich in die Kissen zurückfallen.

Unterwegs hatte sie den Jungs alles erzählt, was sie im Inneren des Spiegels erlebt hatte.

Die Geschichten der beiden waren im Vergleich harmlos gewesen.

„Ams, was ich da vorhin zur dir gesagt habe, das...“

Das Mädchen hatte Fox' Liebesgeständnis schon wieder vergessen gehabt.

Seine größte Angst schien es gewesen zu sein, es ihr zu sagen.

„Ich...“, begann sie, doch ihr Freund unterbrach sie.

„Sag nichts. Ich weiß es doch eh“, lächelte er.

Amber schaute ihn an und ließ leicht nickend den Kopf sinken.

Sie hatte ein schlechtes Gewissen die Worte nicht erwidern zu können. Vor allem nachdem sie so etwas erlebt hatten.

Für einen Moment herrschte Schweigen.

„Denkt ihr, sie werden herausfinden, was in diesem Zimmer vor sich ging?“, fragte Fox schließlich.

„Keine Ahnung...“, erwiderte Sam.

„Wisst ihr...“, begann Amber, „bei dieser ganzen Sache mit den Ängsten musste ich an einen Irrwicht denken. Erinnert ihr euch? Wir hatten das Thema im dritten Jahr.“

„Stimmt, jetzt wo du es sagst“, überlegte Fox.

„Aber ein Irrwicht ist ein magisches Wesen und nimmt lediglich eine Gestalt an, vor der man sich am meisten fürchtet“, sagte Sam, „was hat es dann mit dem Spiegel auf sich?“

„Vielleicht war der Irrwicht im Spiegel eingeschlossen...“, überlegte Amber weiter, „aber die ganze Wahrheit werden wir wohl nie erfahren. Vielleicht findet ja Professor...“

Ein lautes Knarren unterbrach sie.

Der Krankenflügel hatte sich geöffnet und Bradley erschien in der Tür.

„Hey Leute...“, begrüßte er sie unsicher.

Langsam kam er zu ihnen herüber.

„Ich habe mitbekommen, wie Sam mit Snape darüber gesprochen hat, was in den Kerkern vorgefallen ist und... Ich wollte einfach sicher gehen, dass es euch gut geht.“

Er blickte zu Amber.

„Vor allem dir, auch wenn das wahrscheinlich nicht sehr viel bedeuten wird...“

Für einen kurzen Moment schauten sie sich schweigend an.

Dann schüttelte Amber den Kopf.

„Danke...“, sagte sie leise und Brad sah sie überrascht an.

„Ich... möchte mich bei dir entschuldigen“, fuhr sie fort, „wegen gestern...“

Sam und Fox entschieden sich die beiden einen Moment alleine zu lassen und verließen den Krankenflügel.

Brad ließ sich auf einen Stuhl neben dem Bett sinken.

„Dir die Schuld zu geben war nicht fair... und dich so zu behandeln erst Recht nicht. Du hast keine Schuld an Rubys Tod oder meinem Fluch. Das sollte ich selbst am besten wissen...“

Brad fehlten die Worte und er starrte Amber stumm in die Augen.

Diese lächelte erschöpft.

„Ich konnte mir einfach selbst nicht verzeihen. All die Fehler, die ich gemacht habe. Aber... ich glaube, ich kann nun anfangen, damit abzuschließen. Wie du bereits sagtest, Ruby hätte nicht gewollt, dass wir so miteinander umgehen und sie hätte auch nicht gewollt, dass ich mich in mir selbst verliere...“

Brad legte ihr eine Hand auf den Arm und nickte dankend.

Wieder lächelte Amber. Endlich konnte sie nach vorne blicken.

 

Fox streckte sich ausgiebig und lehnte sich gegen die Wand vor dem Krankenflügel.

„Ob wir irgendwann mal ein Schuljahr erleben, in dem uns nicht irgendwelche Scheiße passiert?“, seufzte er.

Sam grinste.

„Bisher hatten wir da weniger Glück. Ein Jahr haben wir noch vor uns, vielleicht verläuft das ja mal ruhiger.“

„Wäre mal eine nette Abwechslung. Ich kann echt darauf verzichten jedes Jahr fast drauf zu gehen.“

Wieder grinste Sam und die beiden gingen zurück in den Krankenflügel.

„Wie ich immer sage, in Hogwarts wird es nie langweilig.“


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